Im „Techlash“ formiert sich der Zorn auf Macht und Einfluss der digitalen Konzerne. Oft läuft der Protest allerdings ins Leere, weil viel zu wenige echte Veränderungen fordern.
Die Feststellung, dass der „Techlash“ – unser böses Erwachen, was für gigantische Macht die Technologieunternehmen haben – von Monat zu Monat an Kraft gewinnt, ist schon eine Binse. Der plötzliche Rückzug von Amazon aus New York City, wo die Eröffnung eines zweiten Hauptsitzes geplant war, zeigt, wie rasch sich das politische Klima verändert hat. Die New Yorker hatten offensichtlich keine Lust, fast 3 Milliarden Dollar an Subventionen auszugeben, um Amazon anzulocken, ein Unternehmen, das, nachdem es 2018 11,2 Milliarden Dollar an Gewinnen erzielt hat, keine Steuern auf diese Einnahmen gezahlt hat und es sogar geschafft hat, 129 Millionen Dollar an Steuerrückzahlungen zu bekommen.
Die meisten Berichte über die wachsende Anti-Silicon-Valley-Stimmung ignoriert allerdings die immensen Unterschiede der politischen und ideologischen Kräfte, die diesen Techlash antreiben. Um einen russischen Klassiker zu paraphrasieren, während alle glücklichen Apologeten von Big Tech gleich sind, sind all ihre Kritiker auf ihre eigene Weise unzufrieden. Diese Kritiker, vereint durch ihren Hass auf die digitalen Riesen, bilden kurzfristige taktische Allianzen, die auf lange Sicht allerdings keinen Bestand haben.
Prinzipiell kann man die derzeitige Anti-Tech-Bewegung in drei Lager aufteilen. Die decken fast das gesamte politische Spektrum ab, von der marktfreundlichen neoliberalen Rechten bis zur solidarischen sozialistischen Linken. Auch wenn die prominentesten Figuren der Linken noch eine schärfer definierte Position einnehmen müssen.
In Brüssel klammert man sich an eine Bürokratie, die vor hundert Jahren erfunden wurde
Die beiden bekannteren Strömungen des Techlash sind das, was man „Ökonomismus“ und „Technokratie“ nennen kann. Die Befürworter der ersteren fordern, dass die Wertschöpfungskette der digitalen Wirtschaft durchbrochen wird: Den Nutzern werden systematisch ihre Daten abgeluchst. Daher der Vorschlag, sie zu kompensieren. In einer Rede Mitte Februar forderte der neue Gouverneur Kaliforniens Gavin Newsom von den Technologieriesen, sich mit der Idee einer „Datendividende“ zu beschäftigen. „Kaliforniens Verbraucher“, sagte er, „sollten auch an dem Reichtum teilhaben können, der aus ihren Daten entsteht.“
Dieser Widerstand ist reiner „Ökonomismus“, weil er keinen Raum für Technologiekritiken lässt, die von anderen als ökonomischen Argumenten getrieben wird. Das einzige Machtverhältnis, das in diesem politischen Universum kritisiert wird, ist das zwischen Unternehmen und Verbrauchern. Da gibt es keine Bürger, geschweige denn soziale und öffentliche Institutionen. Das dürfte die politische Macht von Big Tech nur noch stärken. Verbraucher würden jede Expansion der Konzerne bei diesem Modell ja sogar begrüßen: Je größer die Technologieunternehmen, desto größer die Datendividenden. So innovativ es auch klingen mag, es ist ein äußerst konservativer Ansatz, der alles so lässt, wie es ist, und den Verbrauchern halt ein paar Almosen zukommen lässt.
Die „Technokraten“ des zweiten Lagers unterscheiden sich kaum von den Anhängern des Ökonomismus. Auch sie glauben an die Tugenden freier und wettbewerbsfähiger Märkte. Sie wollen die Macht der Big-Tech-Konzerne vor allem mit dem Kartellrecht einhegen. Falls nötig, sollen die Unternehmen aufgelöst werden. Auch in diesem Lager überwiegt die wirtschaftliche Rhetorik, zum Beispiel die Überlegungen, wie Großunternehmen die Innovationsbemühungen kleinerer Akteure ausbremsen.
Ein solches Denken ist in Washington in Mode, wo neue abtrünnige Think-Tanks wie das Open Markets Institute versuchen, den laxen Umgang mit Kartellgesetzen der letzten vierzig Jahre zu revidieren. Brüssel ist für solche Überlegungen noch offener. Die Europäische Kommission mit Margrethe Vestager als Kommissarin für Wettbewerb ist da die Speerspitze gegen den Monopolismus. Die jüngste Entscheidung des deutschen Kartellamtes, die Facebook untersagt, die Daten von Drittanbieter-Applikationen ohne ausdrückliche Zustimmung des Nutzers zu bündeln, folgt ähnlichen Argumenten.
Es reicht nicht, die Monopole zu zerschlagen, um effizientere Märkte zu schaffen
Solche technokratischen Lösungen reichen allerdings nicht, um eine post-technokratische Vision für eine Welt voller Daten zu entwickeln. Die Technokraten klammern sich an ein zentralisiertes, starres und stark bürokratisches Modell, das vor rund hundert Jahren erfunden und erstmals angewandt wurde. Es stimmt wahrscheinlich, dass zehn kleinere Facebooks weniger Schaden anrichten würden als das heutige Facebook. Das ist aber noch kein politisches Programm.
Die Forderung nach der Auflösung von Technologieriesen ist in Ordnung, aber welche nichtkommerziellen Institutionen und Arrangements sollte es in einer gerechten digitalen Gesellschaft geben, in der weder Facebook noch Google die dominante Rolle spielen? Ohne Antwort entpuppt sich die technokratische Agenda hier als bloßer Ökonomismus in geschickter rhetorischer Verkleidung: Die grundlegende Frage, was uns in einer Welt jenseits von Big Tech erwartet, soll durch den Wettbewerb selbst beantwortet werden.
Was also ist der aktuelle Stand der dritten und im Moment am wenigsten sichtbaren Strömung der Techlash-Debatte? Seine Anhänger, die sich derzeit in einer Ansammlung von radikalen kommunalen Bewegungen organisieren, predigen weder Märkte noch Technokratie, sondern vielmehr eine radikale demokratische Transformation. Sie gehen nicht davon aus, dass der Wettbewerb immer die richtige Antwort ist. Stattdessen revidieren sie die Frage selbst. Es geht ihnen weniger darum, Missstände von Big Tech zu beheben, sondern um eine fortschrittliche digitale Zukunft.
Was könnten digitale Technologien dazu beitragen, politische Institutionen, einschließlich der repräsentativen Demokratie und ihres bürokratischen Apparats, dezentraler und partizipativer zu gestalten? Die Vertreter dieser Ansicht stellen sich die Bürger nicht als kultivierte und emanzipierte Verbraucher vor, die von ethischeren digitalen Kapitalisten der Zukunft bedient werden, sondern als aktive, politische und gelegentlich auch unternehmerische Subjekte.
Eine Vision für die digitale Zukunft formulieren, statt die Vergangenheit zu verteidigen
Sobald sie uneingeschränkten Zugang zu den fortschrittlichsten Technologien und ein Mindestmaß an Ressourcen bekommen haben, werden diese Bürger darauf angewiesen sein, effektive Lösungen für genau die Probleme zu finden, die derzeit Planer und Bürokraten so verwirren. Sie könnten sogar neue Dienste erfinden, sowohl kommerzielle als auch nichtkommerzielle, die derzeit schwer vorstellbar sind, da der Zugang zu den wichtigsten Ressourcen der digitalen Wirtschaft – Daten, Identität, künstliche Intelligenz – streng kontrolliert wird.
Im Gegensatz zum Ökonomismus und zur Technokratie zielt dieser dritte Ansatz nicht darauf ab, effizientere Märkte zu schaffen. Vielmehr stellt er infrage, dass Daten und künstliche Intelligenz als Waren und nicht als kollektive und soziale Ressourcen behandelt werden. Auf diese Weise sollen diejenigen gestärkt werden, die von den Schlüsselpositionen in der digitalen Wirtschaft und der Bürokratie gleichermaßen ausgeschlossen sind.
Angesichts eines wieder auflebenden rechtsgerichteten Populismus, der die Tugenden des unreformierten Verwaltungsstaates durchaus berechtigt infrage stellt, würde eine progressive Bewegung nicht sehr weit kommen, wenn sie lediglich die Rückkehr zum technokratischen Apparat des New Deal oder zum Wohlfahrtsstaat verspricht. Ähnliche haben die Befürworter des „Ökonomismus“ einen steilen Weg vor sich, denn sie predigen die Vertiefung der neoliberalen Agenda in einer Zeit des wachsenden Widerstandes gegen Globalisierung, Ökonomisierung und Steuerhinterziehung.
Der Weg für die unentschlossenen Bewegungen der Linken ist klar: Wenn sie wirklich vom neoliberalen Dogma mit seinem Beharren auf Wettbewerb als übergreifendem politischen und sozialen Instrument der Moderne abweichen wollen, sollten sie den rhetorischen und ideologischen Versuchungen des „Ökonomismus“ und der „Technokratie“ widerstehen und sich für eine radikale demokratische Transformation einsetzen.
Es könnte der ehrgeizigste der drei Wege sein. Bei aller Utopie ist er jedoch der einzige, der es den Kräften der Linken erlaubt, mit der bloßen Verteidigung der Vergangenheit aufzuhören und eine gerechte, faire und egalitäre Vision für die digitale Zukunft zu formulieren. Sollten sie scheitern, würde der rhetorische Raum nicht leer bleiben: Die rechten Populisten würden ihn rasch füllen. Natürlich ohne Gerechtigkeit und Egalitarismus.