Rocket League

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Rocket League

 

Rocket_League_Teaserbild

Wir Deutschen lieben Fußball aber noch viel mehr lieben wir Autos. Die Kombination aus beidem sollte uns vor Begeisterung aus den Latschen kippen, erscheint uns zunächst aber sonderbar. Mit Rocket League zeigen uns ausgerechnet Amerikaner, dass die Mischung nicht nur funktioniert, sondern auch das Potenzial zum Superhit besitzt.

Wenn ich ganz ehrlich sein soll, konnte ich Fußball noch nie richtig leiden. Das muss an meiner zwar sportlichen aber wenig dem ledertretenden Rasensport zugeneigten Kindheit liegen. Irgendwie war der Platz immer zu groß und matschig, meine Beine zu lang und nicht krumm genug und der Ball flog aufgrund meiner berüchtigten Spitzkicktechnik stets in alle Winde, nur nie aufs Tor. Darum ließ ich es auch bald sein, quälte mich und vor allem meine Mitschüler nicht weiter mit gehaltvoller Talentlosigkeit.

IntSocC64Auch als leidenschaftlicher Gamer der frühen Achtziger färbte meine Aversion gegen das runde Schweinsleder auf die Auswahl in Frage kommender Titel für den Homecomputer ab. Nie rührte ich ein Fußballspiel an, kein Microprose Soccer oder Sensible Soccer konnte mich locken. Na gut, International Soccer (C64) war ein zu großer Spaß um es zu ignorieren. Auch ließ ich mich 1989 breitschlagen und spielte die eine oder andere Partie Kick Off mit Freunden auf dem Amiga aber das war es dann auch mit meiner Fußballkarriere.

Der Hit

Ein gutes Vierteljahrhundert später, nachdem ich alle PES und FIFAs erfolgreich umschifft hatte, traute ich meinen Augen nicht, als diese eindeutig mich selbst in der Spiegelung des Monitors, am Controller meines PCs festklammernd wahrnahmen, wie ich schwitzend und verkrampft, bereits seit unzähligen Stunden ohne Wasser und fester Nahrung Rocket League zockte. Was? Fußball mit Autos? Das soll der Hit sein? Ja! Kaum zu glauben, dafür wahr.

Brion Zane hatte mich im Sommer auf das Spiel gebracht, das seit Juni kostenlos im Playstation Plus zu haben ist. Dank Multiplattform-Feature stand direkten Duellen nichts im Wege. Aber was genau ist Rocket League? Worin gründet der Wahnsinnserfolg dieses eigenwilligen Sportspiels mit über 5 Millionen Downloads? Woher rühren kurzzeitige Bestseller-Ränge auf Steam mit fast 200.000 gleichzeitigen Spielern und über 2 Millionen Zuschauern bei Live-Streams?

Das Spiel

RL_Karl_KapplerDie Spielidee ist alles andere als neu. Bereits Anfang der Dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts stellte der Deutsche Karl Kappler (1891 – 1962) ein Ballspiel für motorisierte Fahrzeuge vor und gewann in den Folgejahren mit seinem Mercedes diverse Matches gegen Opel, Adler und Wanderer. Nach 1935 geriet der Trendsport wieder in Vergessenheit. Ein Revival erlebte der Autoball in Brasilien der frühen Siebziger Jahre, wo sogar Meisterschaften ausgetragen wurden. Die Ölkrise beendete jedoch bald den Aufstieg dieser Funsportart durch ein staatliches Verbot. Erst durch Stefan Raabs Autoball-Meisterschaften erlangte der Sport erneut Bekanntheit, auch wenn er nie wirklich ernsthaft betrieben wurde.

SARPBCDer kalifornische Spiele-Entwickler Psyonix, bekannt durch seine Mitarbeit an Unreal Tournament 2004 und den Eigenentwicklungen ARC Squadron, einem akzeptablen Weltraum-Shooter für Mobilgeräte sowie dem sich aktuell in der Beta-Phase befindlichen MMO-Shooter Nosgoth, in dem Menschen und Vampire in Arenen gegeneinander antreten können, veröffentlichte bereits 2008 mit Supersonic Acrobatic Rocket-Powered Battle-Cars, der Name ist kein Scherz, den Quasi-Vorgänger ihres aktuellen Superhits Rocket League. Nur war es damals weder die Zeit, noch sprach das etwas aufgeblasene Gameplay von SARPBC mit seinen Single-Player-Minispielen, Tournaments und Challenges, sowie den Hügeln und Tälern auf dem Spielfeld für einen echten Erfolg. Mittelmaß war die Folge, sowohl bei den Bewertungen als auch den Verkäufen, wobei letztere mit 2 Millionen nicht ganz so schlecht abschnitten. Ein gewisses Potenzial schlummerte ja auch in diesem Vorgängertitel.

Der Sport

RL_ESLBei der Entwicklung von Rocket League jedoch hieß das Motto Reduktion und Perfektion, was bereits in der Anfang 2014 gezeigten Alphaversion zu erkennen war. Man beschränkte sich auf das Wesentliche. Eine solide Physik-Engine, die Unberechenbarkeiten des Balls und der Fahrzeuge nahezu ausschließt, eine präzise Kollisionsabfrage, die ein beinahe perfektes Zusammenspiel zwischen Fahrzeug, Ball und Spielfeld erlaubt und eine überschaubare Anzahl an Arenen mit ebenem Untergrund und abgerundeten Spielfeldecken um einem gewissen Sportspiel-Standard Tribut zu zollen. Nicht umsonst hat die e-Sport-Liga ESL das Spiel nur wenige Tage nach Release in ihre Rotation aufgenommen. Die Major League Gaming (MLG) hielt zwischen September und Oktober die erste offizielle Profi-Meisterschaft ab.

RL_SpeedballDie Verfeinerung der Spielmechanik spiegelt sich auch in der besonders exakten und feinfühligen Steuerung wider. Das Gefühl ist direkt und die Steuerungsmöglichkeiten sind auf Gas, Bremse, Sprung, Handbremse sowie Turbo und Ball-Kamera beschränkt. Im Sprung sind natürlich Salti vorwärts und rückwärts möglich, häufig auch notwendig um dem Ball Speed und Effet zu verleihen. Doppelsprung und Rollen in beide Richtungen gekoppelt mit Turbo-Boost erlauben virtuose Bewegungsfreiheit im horizontalen und vertikalen Raum, sowie überlegene Ballkontrolle. An dieser Stelle muss leider, jedoch zurecht die olle Floskel „Leicht zu lernen, schwer zu meistern“ herhalten.

Blindes auf-den-Ball-Zurasen führt nicht zum Erfolg. Diszipliniertes Anpeilen nach Augenmaß und genaues Timing sind genauso unumgänglich wie das richtige Management der Turbo-Ressource. Diese lässt sich zwar an diversen Punkten auf dem Spielfeld immer wieder aufladen, doch oft ist in der Hitze des Gefechts ein dringend benötigter Aufladepunkt in weiter Ferne. Natürlich ist das Absolvieren der Tutorials und Training im Vorfeld äußerst hilfreich, doch letztlich sind die unvorhergesehenen und nicht selten spannenden und teils spektakulären Situationen auf dem Spielfeld mit echten Mitspielern die besten Lehrer. Spielen kann man 1 gegen 1 im Duell oder 2 gegen 2 sowie das besonders spaßige 3 gegen 3 und natürlich den nicht zu unrecht „Chaos-Mode“ genannten 4 gegen 4 Spielmodus.

RL_Violett_TeamEinige US-Magazine lobten den Shooting-Star Rocket League verdient über den grünen Klee, jedoch teilweise mit für uns seltsamen Begründungen. Manche Kollegen verteilten Höchstnoten, nur weil sie mit Hilfe des Spiels endlich die „Soccer-Rules“ verstanden hätten. Dabei verzichtet dieses exzellente Kicker-Rennspiel auf so ziemlich alles, was den Fußball scheinbar ausmacht. Aus oder Ecke fehlt ebenso wie Abseits oder Foulspiel. Das Runde muss ins Eckige und die Partie dauert fünf Minuten. Anstoß, Latte, Pfosten und Parade sind alles was übrigbleibt. Ein ebenso spaßiges wie taktisches Feature ist zudem noch die Möglichkeit, den Gegner kurzzeitig auszuschalten indem man ihn mit Turbo-Speed rammt. Der Bolide explodiert und wird mit leichter Verzögerung vor das eigene Tor teleportiert.

RL_Spielfeld

Das Design

Für alles gibt es natürlich Auszeichnungen, die am Ende des Spiels aufgerechnet werden. So kann nach spannenden Muliplayer-Sessions der wertvollste Spieler bestimmt werden. Dies macht natürlich im Splitscreen-Modus, den Psyonix dankenswerterweise implementiert hat, nebeneinander sitzend am meisten Spaß, wobei da die Über- und Rundumsicht ein wenig leidet und Online-Partien übers Internet einen Vorteil gewährt. Das Matchmaking klappt ganz gut, man wird stets mit Spielern gleichen oder ähnlichen Ranges verbunden. Die Verbindung zu den Servern war im Sommer noch katastrophal, hat sich in der Zwischenzeit jedoch sehr verbessert.

RL_BluecarIm Grunde ist Rocket League eine Mischung aus Trackmania und Speedball, Flatout und FIFA, ist Sportspiel, Rennspiel und irgendwie auch Jump’n’Run zugleich. Der Singleplayer-Modus beschränkt sich auf eine eher spartanische Liga-Kampagne und Meisterschaft, die sich gut zum Trainieren eignet. Zahlreiche Fahrzeuge, die von euch nach Belieben modifiziert, lackiert und ausstaffiert werden können, sorgen für Abwechslung und für individuelles Aussehen eures Sportgeräts. Inhalte dieser Art, die stets nur optischer Natur sind und somit die Ausgeglichenheit im Wettbewerb sicherstellen, werden vom Entwickler immer wieder in Form von DLCs nachgereicht. Dies kann, abhängig vom Content, gratis oder gegen wenige Euro erfolgen. Beispielsweise wurden die altbekannten Battle-Cars aus dem Vorgänger wieder eingeführt, ebenso wie der DeLorean aus Zurück in die Zukunft oder eine Vault-Boy-Antenne aus Fallout 4, die neuerdings auswählbar sind.

Die DLCs

RL_IceAktuell hat Psyonix den Titel um diverse Modi erweitert, die den Spielspaß weiter steigern sollen. Mit dem Mutators-Pack ist es euch beispielsweise möglich, „Moonball“ mit veränderter Gravitation zu spielen oder mit „Cubic“ einen quadratischen Ball mit allen physikalischen Eigenheiten zu nutzen sowie den eh schon großen Spielball weiter aufzublasen und luftig leicht Beachball-Partien zu bestreiten. Ein Demolition-Modus ist nun ebenfalls vorhanden. Die Kalifornier planen zudem einen Zusatzinhalt für den 14. Dezember, der nach vielfachem Wunsch der Community, eine Eis-Arena mit Riesen-Eishockey-Puck vorsieht. Auch soll ein postapokalyptisches Szenario mit entsprechendem Spielfeld, Fahrzeugen und Accessoires am 1. Dezember angeboten werden.

Rocket League ist bislang nur für PC und PS4 zu haben, wobei Versionen für MacOS und Linux bereits angekündigt wurden. Als Anfänger und Casual-Gamer habt ihr garantiert euren Spaß, sowohl online als auch offline, mit oder ohne Freunde und sei es im Splitscreen oder an einzelnen Terminals. Profis und Perfektionisten unter euch finden ein Spiel vor, in dem sie sich nicht nur voll austoben, sondern auch ihre eigenen Grenzen ausloten und überwinden können.

Das Fazit

RL_LigaRocket League von Psyonix ist ein Programm für die Ewigkeit geworden. Verzeiht bitte das Pathos. Was ich damit sagen will ist, dass die Entwickler aus San Diego ein echtes Videospiel erschaffen haben. Solche legendären Kreationen sind von Dauer, bleiben lange in der Spielebibliothek und noch länger in Erinnerung. Der Titel erscheint nahezu perfekt, was weniger durch Hinzufügen als vielmehr durch Weglassen erreicht wurde. Die Reduktion auf das Notwendigste stand im Zentrum des Spieldesigns. Tiefe und Komplexität verschwinden zugunsten von Gameplay und Emotion. Natürlich gehören Glück und Pech auch immer dazu aber hauptsächlich stehen wieder die Skills des Spielers, seine Fähigkeit mit dem Controller umzugehen, taktisch zu denken und das richtige Timing für sich zu nutzen, eindeutig im Vordergrund. So gibt es keine Ausreden, wenn es auf dem Spielfeld mal schlecht läuft, dafür sind Jubelorgien nach einem Triumpf an der Tagesordnung.

RL_NightDie Spielerschaft ist größtenteils umgänglich, Ausnahmen bestätigen die Regel, die internationalen Ranglisten sind motivierend, der Sammeltrieb wird durch zahlreiche Modifizierungsmöglichkeiten der Fahrzeuge und Teamlogos befriedigt und schnelle Einstiege zwischendurch sind ebenso möglich wie stundenlange Championships. Das Spiel ist in der Lage sowohl Fußballhasser als auch Begeisterte zu überzeugen.

Rocket League ist mit Abstand mein Lieblings-Indiespiel des Jahres. Es hat sich mehr oder weniger unerwartet mit seinem klaren und schnörkellosen Design sowohl in meine persönliche Spiele-Topliste als auch in mein Herz katapultiert. Ich kann nur jedem empfehlen, diese Videospielperle seiner Sammlung hinzuzufügen.

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Cockjoker_Mini c0ckj0k3r für N E T Z P U N K – 28.11.2015